Multispezies in der Straßenplanung
Am Mittwoch, den 29.11.2023, ging es mit der Soziologin Dr. Christine Neubert von der Universität Hamburg um eine Multispezies-Perspektive auf Baustellen, zu denen sie im Projekt „Ethnografie der Baustelle” forscht. Dafür trafen sich im Rahmen der Vortragsreihe „Arbeit und Ökologie” erneut Studierende der Empirischen Kulturwissenschaft der Universität Hamburg sowie andere Interessierte im Jupiter Gebäude. Dr. Neubert interessieren in ihrer Forschung insbesondere Fragen nach den Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Die Baustelle sieht sie hier als Kontaktzone und somit auch als einen Raum, an dem sowohl Praktiken und Ressourcen der verschiedenen Akteure als auch die permanenten Aushandlungen zwischen ihnen sichtbar werden und gut zu beobachten sind. Damit wird die Baustelle für sie zu einer guten Möglichkeit für einen “praktischen Denkraum” für Ansätze und Fragen im Bereich MultiSpezies.
Ihre Feldforschung, die sie von Februar bis November 2022 an einer Baumaßnahme in Hamburg durchführte, sowie Interviews, die sie mit einzelnen Akteuren führte, bilden die Basis für das Projekt. Während ihrer Arbeit im Feld begleitete sie ein bis zwei Mal pro Woche die Baustellenarbeit vor Ort, nahm an den Baubesprechungen teil und analysierte die daraus resultierenden Protokolle. Ergeben hatte sich diese Möglichkeit durch ihren Kontakt zum Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer, der die Baumaßnahme als konkreten Forschungsort vorschlug. Generell beschrieb Dr. Neubert Baumaßnahmen als noch immer sehr menschenzentriert. So stellt sich im Hinblick eines gewissen “ecosystem service” primär die Frage, wie Flora und Fauna uns als Menschen dienen und helfen können. Ihren Forschungsansatz bezeichnet sie als „multispezies-[sensible]-Baustellen-Ethnografie“. An dieser Stelle regte sie daher zum einen dazu an, im Rahmen einer „Dezentrierung des Humanen” auch Flora und Fauna mitzudenken. Beispielhaft nannte sie hierfür die Integration von Nistplätzen an Hochhausfassaden und Igelschubladen, wozu sie auch einige Pilotprojekte vorstellte. Zum anderen sprach sie sich dafür aus, auch nicht-menschlichen Akteuren eine Stimme zu geben, um beispielsweise richtiggehend Bäume sprechen zu lassen und damit „Geschichten anders zu erzählen”. Im Zuge dessen nutzte sie probeweise auch Methoden wie das Verfassen eines Ethnodramas, bei dem sie eine Situation aus der Sicht eines Baumes schilderte. Obwohl sich dies ihr zufolge als gutes Mittel zur Perspektivverschiebung herausstellte, nahm sie es durchaus auch als herausfordernd wahr.
In der anschließenden Diskussion ging es dann weiterführend um Fragen nach Maßnahmen und Verantwortungen in Bezug auf Arten- und Naturschutz sowie um die Tätigkeit und Rolle als Baumpfleger:in. Außerdem ging Dr. Neubert auf die Art und Weise ein, wie sie das Forschungsprojekt im Hinblick auf die Wirkmächtigkeit von nicht-menschlichen Akteuren wie beispielsweise Baumwurzeln, sensibilisiert hat. Insgesamt bot der Vortrag von Dr. Neubert nicht nur spannende Einblicke in das Projekt, sondern regte auch dazu an, das Verhältnis von Mensch und Natur nicht nur, aber auch in 2 städtischen Bauprojekten zu überdenken und Baustellen, die einem in Alltag begegnen, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
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