Vortrag von Kim Lucht (Universität Jena) und Diskussion
von Marie Scherer und Meike Knabe
Am Mittwoch, den 25. Oktober, fand die erste Veranstaltung im Rahmen des Institutskolloquiums “Arbeit und Ökologie – Perspektiven auf eine spannungsreiche Beziehung” im JUPITER in der Mönckebergstraße statt.
Zur ersten Sitzung “Gewerkschaften und Klimabewegung: Eine (un)glückliche Allianz?” hielt Kim Lucht einen Gastvortrag. Als Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Jena ist sie Teil des Sonderforschungsbereichs “Strukturwandel des Eigentums”, der 23 Teilprojekte an fünf Standorten in Deutschland umfasst, darunter Berlin, Erfurt und Jena. Sie ist spezialisiert auf das Phänomen Eigentum, Ungleichheit und Klassenbildung in sozialökologischen Transformationsprozessen und publizierte bereits mehrere Arbeiten über ihre Untersuchungen und Ergebnisse in diesem Themengebiet. Hintergrund für ihre im Vortrag dargestellte Forschung ist die aktuell wachsende Bedrohung des Klimawandels und dessen Zusammenhang mit der steigenden sozialen Ungerechtigkeit. Lucht stellt die Hypothese auf, dass es angesichts dieser drohenden Krise einer sozial-ökologischen Transformation bedarf. In der Klimabewegung sowie den Gewerkschaften sieht sie die Hauptakteur*innen, durch deren Zusammenarbeit Veränderung noch möglich sein kann. Die Akteur*innen würden im Allgemeinen eher gegeneinander ausgespielt und als gegensätzliche Organisationen wahrgenommen, obwohl es notwendig sei die beiden Sphären, die sie verkörpern, nämlich Ökologie, repräsentiert durch die Klimabewegung, und Soziales, durch die Gewerkschaften, zusammenzubringen. Grund dafür seien vor allem die verschiedenen Machtressourcen, welche die Akteur*innen mitbringen. Während die Stärke der Gewerkschaften in ihrer Organisationsmacht liege, sei die Klimabewegung hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Macht im Vorteil. Neben diesem “Machtressourcen-Ansatz” wurden außerdem die Chancen und Hindernisse einer sozial-ökologischen Zusammenarbeit von Lucht an zwei von ihr untersuchten Fällen deutlich gemacht.
In ihrem Vortrag sprach Lucht zuerst über ihre empirische Forschung zur Kampagne #wirfahrenzusammen von der Gewerkschaft ver.di und der Klimabewegung Fridays for Future. Im Jahr 2020 war deren Allianz im Rahmen des Spartentarifvertrags Nahverkehr entstanden, um für einen Ausbau des ÖPNV einzustehen und als Voraussetzung dafür, bessere Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten zu fordern. Über 30 Bündnisse wurden gegründet und ein bundesweiter Streiktag organisiert. Obwohl die angestrebten Tarifziele letztlich nicht erreicht wurden, konnten aus Luchts qualitativen und quantitativen Studien verschiedene Auffassungen über den Erfolg der Allianz beobachtet werden.
Diesem Fall stellte Lucht ihre Untersuchungen bei einer VW-Belegschaft in Baunatal gegenüber. Hier war es bisher zu keiner Zusammenarbeit mit der Klimabewegung gekommen. Spannend war hierbei, wie das VW-Werk beschrieben wurde und welche Perspektiven der Belegschaft durch Luchts qualitative Forschung vor Ort an das Publikum gebracht werden konnten. Das Unternehmen stellt den größten Arbeitgeber der Region dar und das schon seit Generationen. 16.500 Menschen sind dort beschäftigt, 95% davon sind in der Gewerkschaft IG Metall organisiert. Auch wenn die Mobilitätswende und der in diesem Sinne geplante Umstieg auf E-Mobilität in naher Zukunft zum Abbau von voraussichtlich bis zu 8000 Arbeitsplätzen führen soll, sei die Belegschaft von einem starken sozialen Sicherheitsgefühl und von Zuversicht geprägt. Obwohl der Betriebsrat das vom Management angestrebte Geschäftsmodell als ökologisch destruktiv einschätze und der Standort kaum eigene Entscheidungsmacht habe, liege unter den Angestellten weiterhin eine starke positive Identifizierung mit dem Autokonzern vor. Ihre Einstellungen zum Klimawandel und der Klimabewegung seien gemischt: Überwiegend herrsche ein Konsens über die Dringlichkeit und es werde Verständnis gegenüber den Protesten aufgebracht. Gleichzeitig werde der notwendige Wandel der eigenen Arbeitstätigkeit und der des Konzerns nicht gesehen, die Haltungen zeichneten sich durch Neutralität oder Ablehnung aus. Zu Anregungen für eine Zusammenarbeit mit der Klimabewegung komme es nicht.
In der an den Vortrag anschließenden Diskussion wurden viele weitere Ideen eingebracht und Fragen aufgeworfen. Es wurden Unterschiede in Öffentlichkeit und Attitude, die Rolle von Vertrauen in Veränderungsprozessen und das Spektrum an Wahrnehmungen bezüglich des Klimawandels thematisiert und zum Abschluss eine Einschätzung des Potenzials beider Fälle gegeben. Gemeinsam haben wir den Blick in die Zukunft gewagt und uns über Prognosen und Zukunftsperspektiven Gedanken gemacht. Bereichert mit vielen neuen Impulsen und Perspektiven verließen wir um 20 Uhr die Veranstaltung.
Wir danken Kim Lucht für ihre Zeit und freuen uns auf den nächsten Vortrag!
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